2033

Wir finden uns 2033 in Deutschland wieder. Hundert Jahre nach der Machtergreifung regiert mit dem AUFSTAND wieder eine rechtsextreme Partei. Die junge Anwältin Marie übernimmt zusammen mit ihrer Chefin Ava ein Mandat historischen Ausmasses – sie verteidigen die einzige verbliebene Oppositionspartei, die REFORM. Während des Plots spitzt sich die Lage immer weiter zu, demokratische Grundwerte werden durch die amtierende Regierung und deren Gefolge zusehends abgeschafft, politische Gegner*innen verfolgt, unabhängige Medien verboten. Auch das Gericht missachtet zunehmend rechtsstaatliche Prinzipien und so werden Verhandlungen praktisch unmöglich. Gelingt es Marie und Ava die fortschreitende Radikalisierung aufzuhalten oder zumindest einzudämmen?

Dem Journalisten und Autoren Bijan Moini ist mit diesem Kriminalroman ein erschreckend schauriges und in Anbetracht der aktuellen Weltlage realistisches Buch gelungen, das man kaum aus der Hand legen kann und bei dessen Lektüre man sich trotzdem fortlaufend übergeben möchte.

Bijan Moini – 2033

Atrium 2025, 978-3-85535-217-3

Mama & Sam

Die Mutter der Protagonistin ist tot. Aufgefunden wurde sie nach einigen Wochen Liegezeit in ihrer Wohnung in Berlin. Was hat sie in ihren letzten Monaten gemacht? Wann ist sie wirklich verstorben? Die Tochter weiss einzig von einer «Beziehung», die ihre Mutter übers Internet zu einem offensichtlichen Scammer unterhalten hat und über die ihrer beider Kontakt schliesslich abgebrochen ist. Die Tochter findet den Chat, den ihre Mutter mit ihrem vermeintlichen Liebhaber geführt hat – und tonnenweise Apple-Gutscheinkarten. Nachricht für Nachricht kämpft sie sich durch die monatelange Unterhaltung und entdeckt, mit welchen perfiden Methoden es gelungen ist, ihrer Mutter sagenhafte Geldbeträge aus den Rippen zu leiern.

Durch die Lektüre des Liebeschats gelingt es der Ich-Erzählerin, nach einer teils schwierigen Kindheit, doch noch ihren Frieden mit ihrer Mutter zu schliessen. So oft erkennt sie sich selbst in deren Aussagen wieder und sowieso entwickelt sie mit fortschreitendem Chatverlauf auch zunehmend Verständnis.

Sarah Kuttner – Mama & Sam

S. Fischer 2025, 978-3103977417

Die Auferstehung

Als grosser und langjähriger Fan der drei ???, den Detektiven aus Rocky Beach, die seit Jahrzehnten keinen Tag altern, war ich zugegebenermassen skeptisch ob dieses neuen Romans des Krimiautors Andreas Eschbach, der das altbekannte Trio nun erstmals im Erwachsenenalter bei einem Fall begleiten soll.

Eine junge Frau behauptet, im Amazonasgebiet von den Toten auferstanden zu sein. Da die Tante der Auferstandenen nicht so recht daran glauben will, dass es sich tatsächlich um ihre Nichte handelt, wendet sie sich kurzerhand an Justus Jonas. Dieser hat seine einstigen Detektivkollegen seit Jahren nicht mehr gesehen, mit Peter hat er sich gar zerstritten. Kann er den Fall wirklich selbst lösen oder ist es nicht vielmehr überfällig, dass sich die drei Freunde zusammenraufen?

Bis auf einen kleinen inhaltlichen Fehler, der wohl nur eingefleischten Fans auffallen dürfte, ist dieser Krimi wirklich gelungen.

Andreas Eschbach – Die Auferstehung

Kosmos 2025, 9783440179741

Das Narrenschiff


Christoph Hein gelingt es in seinem neuen Roman, mit nur wenigen Protagonist*innendie Geschichte der DDR von ihren Anfängen bis zu ihrem Ende nachzuzeichnen. Und das tut er auf beeindruckende Weise. Ein sprachliches Meisterwerk, das einen grandiosen Gesellschaftsroman mit viel Spannung bietet. Die sehr unterschiedlichen Figuren sind klug gewählt und zeigen spannende Entwicklungen auf. Obwohl die historische Handlung bekannt ist, liest sich der Roman stellenweise fast wie ein Thriller.Hein gelingt es, die Leser*innen so zu fesseln, dass sie unbedingt den weiteren Werdegang der Protagonist*innen erfahren wollen. Ein literarischer Pageturner mit viel Historie.

Christoph Hein – Das Narrenschiff

Suhrkamp 2025, 978-3-518-43226-6

Ginsterburg


Arno Frank beschreibt mit seinem neuesten Roman die dunklen Jahre von 1935 bis 1945. Dabei wählt er eine fiktive Kleinstadt mitten in Deutschland, wie es viele hätte geben können. Er schildert die tiefgreifenden Veränderungen, die das Dorf und seine Bewohner*innen in Fünfjahresschtitten durchlaufen (1935, 1940 und 1945). Wird der Nationalsozialismus anfangs von einigen noch belächelt und als Unsinn abgetan, so sind dieselben Personen Jahre später überzeugte Nazis durch und durch. Ginsterburg zeigt eindrücklich, wie sich die Gesellschaft im Nationalsozialismus verändert hat und wie die vernichtende Ideologie breite Zustimmung fand. Deutlich wird dabei auch: Es war eben nicht nur Hitler und Millionen Ahnungsloser – das Gegenteil ist der Fall. Ein eindrucksvoller Roman, der in schönem literarischem Stil geschrieben ist.

Arno Frank – Ginsterburg

Klett-Cotta 2025, 978-3-608-96648-0

Sein Name ist Donner

Morgan Talty gehört der Penobscot Indian Nation an und hat mit diesem Buch seinen ersten Roman veröffentlicht. Das Debüt hat verdientermassen diverse Preise gewonnen. Sein Name ist Donner ist eine eindrückliche Darstellung einer indigenen Gemeinschaft – ein ehrliches und schonungsloses Porträt. Dabei gelingt es dem Autor, bei den Leser*innen eine grosse Bandbreite an Gefühlen hervorzurufen. Man begleitet den Protagonisten David beim Aufwachsen im Reservat. Einerseits kann die Leserschaft lachen, wenn David versucht, an Geld zu kommen, andererseits spürt man die tiefe Perspektivlosigkeit, die beinahe zu Tränen rührt. Ein wunderbares Debüt, das eine grosse Leserschaft verdient hat.

Morgan Talty – Sein Name ist Donner

Rowohlt 2025, 978-3-498-00703-4

Im Tal der Bärin




Der Roman spielt in einem kleinen Dorf in den Pyrenäen. Dieses Dorf verfügt über eine lange Tradition der Bärendressur, auf die immer wieder Bezug genommen wird – insbesondere durch die Geschichte einer Nebenfigur. Als Protagonistin erforscht Alma das Verhalten der wieder angesiedelten Bären in Apriet. Daneben steht der wortkarge Schäfer Gaspard, der nach seinem Studium in Paris zurück in die dörflichen Pyrenäen gezogen ist. Die beiden unterschiedlichen Personen trennt vieles, und doch vereint sie das grosse Thema im Dorf: die Bärin. Durch wunderschöne Naturbeschreibungen lernen die Leser*innen viel über die Bären, tauchen in das Tal ein und bemerken am Rande, welche kleinen, aber erheblichen Auswirkungen der Klimawandel auf die Natur hat. Das Bergdorf mit seinen Bewohner*innen und deren Eigenheiten wird detailreich und bisweilen amüsant beschrieben. Ein spannender Roman, der mehr als gewöhnliche Bergliteratur bietet.

Clara Arnaud – Im Tal der Bärin:Kunstmann 2025, 978-3-95614-622-0

Seven Days

Der Bezirksstaatsanwalt Randal Korn ist besessen von der Todesstrafe und ganz besonders vom Leid anderer Menschen. Um jemanden auf den elektrischen Stuhl – die Yellow Mama – zu bringen, ist ihm beinahe jedes Mittel recht. Der Anwalt und ehemalige Trickbetrüger Eddie Flynn wird vom undurchsichtigen Alexander Berlin zu Hilfe gerufen, als dem jungen Afroamerikaner Andy Dubois in Alabama von Korn der Prozess gemacht werden soll. Berlin ist sicher, dass Andy unschuldig ist und zum nächsten Opfer von Korn werden würde, dafür spricht auch die erschreckende Todesstatistik des Bezirksstaatsanwalts. Eddie begibt sich auf den Weg in die Südstaaten und sieht sich einer etwas anderen Realität gegenüber, als er sie aus New York gewohnt ist – die Segregation ist noch immer real, der Geist des Ku-Klux-Klans weht um jede Ecke. Schnell merkt Eddie, dass in Alabama die Uhren anders ticken und er mit dem Recht alleine nicht gewinnen wird. Zum Glück wird Eddie auch in diesem Fall von seinem Team unterstützt, gemeinsam suchen sie nach der Nadel im Heuhaufen, die den Verlauf des Prozesses noch verändern könnte. Ein Wettlauf gegen die Zeit und zur Rettung von Andys Leben beginnt und dafür bleiben nur sieben Tage Zeit.

Der Autor Steve Cavanagh stammt aus Belfast, wo er sich nach seinem Jura-Studium in Dublin als Bürgerrechtsanwalt einen Namen gemacht hat. In seinen Thriller um Eddie Flynn zeigt er gekonnt die Tücken des US-amerikanischen Justizsystems auf, äussert sich gesellschaftskritisch und setzt die fiktiven Fälle oft in einen realen Kontext. Durch das Fachwissen des Autors sind die geschilderten Gerichtsprozesse authentisch und lehrreich. Die Fälle müssen nicht in chronologischer Reihenfolge gelesen werden und sind in sich abgeschlossen. Cavanaghs Krimis sind rasant, intelligent und echte Pageturner.

Steve Cavanagh – Seven Days
Goldmann 2024, 9783442494019

V13

In Zeiten von Kriegen und Krisen steht einem der Sinn wohl nicht in erster Linie nach einer Gerichtsreportage, die einen der grössten Prozesse im Bereich Terrorismus behandelt. Und doch, die Lektüre lohnt sich. Gerade hier, gerade jetzt!
Der französische Autor und Journalist Emmanuel Carrère hat den Monsterprozess, den sogenannten V13, während zehn Monaten beinahe täglich besucht und schriftlich begleitet. Die einzigen Tage, die er der Verhandlung fernbleiben musste, waren einer Corona-Infektion geschuldet. Mit Menschlichkeit und sprachlichem Feingespür nimmt uns der Autor dieses aussergewöhnlichen Buches Tag für Tag mit. Wir begleiten ihn auf die total abgeriegelte Île de la Cité in Paris, passieren mit ihm zusammen die Sicherheitskontrollen am Eingang, setzen uns mit ihm zusammen auf die unbequemen Stühle im Publikumsbereich. Wir lauschen mit ihm den tragischen Berichten der Überlebenden von den Terrassen der Bistrots und aus dem Inneren des Bataclan. Doch auch den Aussagen der Angeklagten hören wir gebannt zu und versuchen zu verstehen, was Menschen zu so einer Tat treibt. Und da schafft Carrère etwas Einzigartiges: Er nimmt die Lesenden aus dem emotionalen Fokus und schafft es durch seine präzise Beschreibung, sein Gespür für Menschen und Humanität, eine völlig sachliche Darstellung des Prozesses wiederzugeben. Er stellt die subjektive Wahrnehmung von Unrecht der objektiven Abhandlung von Gerechtigkeit gegenüber und genau das macht dieses Buch so unheimlich wichtig. Wenn wir uns als westliche Gesellschaft die Demokratie bewahren wollen, müssen wir faire Prozesse und eine effektive Beurteilung der Faktenlage aushalten. Uns von Gefühlen und der Ohnmacht im Nachgang eines Terroranschlags leiten zu lassen, wird die Gesellschaft nicht stärken – im Gegenteil!

V13, benannt nach «Vendredi 13», dem Tag der Anschläge, ist wohl eines der wichtigsten Bücher des letzten Jahres und die Lektüre entpuppt sich erstaunlicherweise nicht nur als «Vergnügen», sie ist letztlich auch horizonterweiternd.

Emmanuel Carrère – V13
Matthes & Seitz 2023, 9783751809429

Paradise Garden

Billie lebt zusammen mit ihrer Mutter in einer nicht näher benannten Hochhaussiedlung irgendwo in Deutschland. Billies Mama ist klassische Multijobberin und wo die finanziellen Mittel knapp sind, springt sie mit Einfallsreichtum und Liebe ein. Mutter und Tochter sind ein tolles Team, eingespielt und stets liebevoll dem anderen gegenüber.

Als die beiden an einem Gewinnspiel im Radio teilnehmen und gewinnen, steht fest, dass sie sich einen Traum erfüllen möchten; Sommerferien in Frankreich. Der Plan steht, die Reisekleidung ist gewaschen und liegt parat, die letzte Nacht vor der grossen Reise ist angebrochen.

Billie ahnt am nächsten Morgen, dem Tag der Abreise, schon beim Blick ins Wohnzimmer, dass etwas nicht stimmt. Ihre Mutter eröffnet ihr dann auch unverhohlen, sie müssten ihre Reise verschieben, Billies Grossmutter sei schwer krank und würde aus Ungarn für eine Weile zu ihnen ziehen. Noch bevor Billie die Neuigkeit akzeptieren oder die geänderten Pläne verdauen kann, steht ihre Grossmutter mit Sack und Pack an der Tür und zieht mit gefühlt Hunderten Heiligenfiguren in Billies Zimmer ein. Die 14-Jährige ahnt schnell, dass ihre Gewohnheiten durch die Anwesenheit der Grossmutter durcheinandergeraten werden und je länger diese bleibt, desto unwohler fühlt sich Billie in der ohnehin schon kleinen Wohnung. Als ein Streit zwischen der Mutter und der Grossmutter ein jähes und trauriges Ende nimmt, sieht Billie sich auf sich allein gestellt und sie konzentriert sich fortan auf die Suche nach ihrem Vater.

Elena Fischer, die denselben Jahrgang hat wie ich, ist mit diesem Debütroman ein kleines Meisterwerk gelungen. Einfühlsam, rasant und detailreich beschreibt sie ein Leben, in dem Zusammenhalt, gegenseitige Hilfe und Vertrauen so viel wichtiger sind als finanzielle Sicherheiten oder irgendein gesellschaftlicher Status. «Paradise Garden» zählt für mich zu den kleinen feinen literarischen Entdeckungen dieses Jahres!

Elena Fischer – Paradise Garden

Diogenes 2025, 978-3-257-24775-6